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Wunderwaffen

von Edda

Am Ende des Tages sind wir dann eben auch nur wie die Superhelden im Kino: nach langem und hartem Kampf scheinen wir kläglich zu scheitern und liegen im Staub. Es ist das Ende, denkt man. Und dann kommt - dramatische Musik - die Wunderwaffe zum Einsatz. Bei uns kristallisiert sich allerdings heraus, dass die Wunderwaffen durchaus familienintern ganz unterschiedlicher Natur sind.

Mit Elly beginnt es, denn er soll pünktlich zur Prime-Time verschickt werden. Sprich: Bevor der Container ankommt und beladen wird, soll Elly zur Oma. Jetzt will er aber doch nicht. Komm schon, Elly, bei der Oma wird es schön. Nein! sagt das Kind, nur um dann eben doch zu müssen. Am Abreisetag steigt Elly in den Schneeanzug und setzt den nach Lagerfeuer stinkenden Rucksack auf, der ihn durch so viele Waldgruppen-Tage begleitet hat. Im Seitenfach steckt der pinke Feuerstein, sein Abschiedsgeschenk der Waldgruppe. Elly steigt ins Auto, wir fahren los. Alles gut, Schatz? Keine Antwort. Wir kommen am Bahnhof an. Schau mal, Schatz, ein Zug! Keine Reaktion. Hast Du Hunger? Tut dir was weh? Klo ?????? Mütter können die Klappe eben einfach auch nicht halten und so pladdern die hilflosen Fragen aus mir raus, wie Dünnschiss während einer dieser Kinderkrippen-Seuchen.
Der Zug kommt und wir machen uns zum Einstieg bereit. Da geht ein Ruck durch das Kind. Es greift seinen kleinen Rollkoffer, und schließt die Schnalle seines Rucksacks. Der Zug ist voll und ich will ihm helfen, aber da steigt er schon ein und betritt das volle Abteil. Hallo! sagt Elly in Stadionlautstärke. Ich bin Elly. Dann geht er los und schaut nicht zurück.

Die Wunderwaffe unserer Umzugsgentlemen ist - wie kann es anders sein - Dark Vader. Da gibt es einen Knick in der Verpackung, informiert das Mädchen, üb' doch lieber noch ein bißchen. Und als der 2 x 2 m große Mann mit mindestens 20 Jahren Erfahrung das Kind daraufhin gelinde gesagt erstaunt anschaut, setzt sie nach: Jeder macht mal Fehler, weißt du? Das ist ja gar nicht schlimm!

 

Beanie macht viele Fehler in diesen Tagen und leidet unendlich darunter. Ich kriege die Gedanken nicht im Kopf zusammen, erklärt er. Ich stell mir immer vor, wie das in Australien so ist und dann kann ich an nichts anderes mehr denken. Ich rufe daraufhin die Lehrerin an. Trotzdem vergisst Beanie Hausaufgaben, Turnschuhe, Blockflöten, packt die Schulbücher anderer Kinder ein, er vergisst, dass wir uns irgendwo treffen wollten und zum Schluß vergisst er, dass er zum Sportunterricht gehen sollte und bleibt einfach in der Klasse sitzen. Auf dem klasseninternen Belohungssystem steht er auf Gewitterwolke (Liebe Lehrer, wtf?) und das zum ersten Mal in seinem Schülerleben. Ich kann nichts und können kann ich auch nicht mehr, sagt er, verschwindet hinter seinen Haaren und weint.

Am nächsten Morgen ist die Doppelbetthälfte neben Beanie leer und wir gehen auf die Suche nach Dark Vader. Die sitzt um 6:30 im Winteranorak mit gelber Bommelmütze am Frühstückstisch. Sie gehe ab jetzt mit Beanie in die Schule, der Rucksack sei bereits gepackt. Hasi hat die Ohren schon in die Ausgeh-Flechtfrisur gelegt und ist wild entschlossen. Schulstart ist um 8:20 Uhr. Um 7:30 Uhr zieht eine Karawane aus zwei Kindern und einem Hasen los in Richtung Schule. Vorneweg ein fünfjähriges Mädchen mit rotem Laserschwert, gefolgt von einem blauen Hasen mit Ohrzopf und einem haarigen Jungen mit großem Kopf und dünnen Beinen. Was wollt ihr denn da so früh? rufe ich ihnen nach. Wollt ihr nicht lieber wieder reinkommen? Nee, brüllt Dark Vader. Attacke! Beanie dreht sich zu mir um und ich erwarte ein blasses, sorgenvolles Gesicht. Aber Beanie lacht. Zum ersten Mal seit Tagen sehe ich die riesigen neuen Zähne in seinem Kindergesicht blitzen. Genau, ruft er, Attacke! Dann stürmen sie los.

Dark Vader hat im Kindergarten einen Zusammenstoß mit einem Säbelzahntiger gehabt. Was hast du denn im Gesicht, Kind? Einen Kratzer, erklärt das Mädchen. Das ist doch kein Kratzer, das sieht mehr nach Freddy Krueger aus. Oder nach Edward mit den Scherenhänden. Da kommt aber auch schon der Anruf von Miss Pencilsharpener: Dark Vader und ein anderes Kind wären aneinandergeraten und es hätte Handgreiflichkeiten gegeben. Ja, Schatz? frage ich. Die hat gesagt, es sei gut, dass ich bald weg wäre. Dann könnte sie immer in die Babyecke und ich nie mehr. Das ist doch aber kein Grund, um jemanden zu hauen! finde ich. Dark Vader findet das nicht. Ich nehme sie auf den Arm und sie macht sich ganz klein. Über das weiße Feengesicht laufen Tränen. Ich geh nicht mit, Mama, sagt sie. Kann ich auch einfach nicht mitgehen? Doch, Schatz, doch du gehst mit. Aber es ist in Ordnung, wenn man Angst hat. Gemeinsam schweigen wir und fühlen den großen Schmerz im großen Kinderherz. Komm, Vaderchen, ruft der große Bruder von draußen - ich glaube, die Verpacker brauchen deine Hilfe! Alles muss man selber machen, seufzt das Mädchen. Ich komme! Draußen hört man die beiden diskutieren: Weißt du, Vaderchen, hau die blöde Nuss doch lieber auf dem Schulweg! Da ist die Schule nicht zuständig und du kriegst keinen Ärger. Nimm Hasi mit, der kann sie dann nochmal in den Hintern treten.

Meine Wunderwaffe hingegen ist Made in France, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass nur Disneyland mich überhaupt über die französische Grenze bewegen kann ... wenn überhaupt. Yann ist der beste Freund des Iren und kam in mein Leben als Mitgift sozusagen, denn den Iren gibt es nicht ohne Yann. Er ist also nicht nur Ehrenmitglied unseres Wanderzirkus, sondern auch meine ganz eigene Version der allwissenden Müllhalde aus Fragglerock. Wir rufen ihn wegen eigentlich aller Belange des täglichen Lebens an: der besten Konsistenz von salty caramel butter, wenn das Auto nicht funktioniert, bei Unfällen verursacht durch ein Übermaß aus handwerklicher Motivation gepaart mit eher vermindertem Talent (vor allem bei den Missgeschicken, die durch den Gebrauch von Kreisstichsägen hervorgerufen wurden), bei Herzschmerz, wenn die Klospülung klemmt, wenn die Kinder Sehnsucht nach ihm haben, wenn wir nicht mehr weiterwissen oder manchmal auch einfach so. Yann ist das Dorf, dass wir nicht haben, um unsere Kinder großzukriegen. Und in diesen schweren Tagen schwebt er wohlriechend, gelassen und wunderschön anzuschauen praktisch täglich vom Himmel, um uns übermüdeten und oft verzweifelten Haufen auf Kurs zu halten. Ich kann nicht mehr, sage ich ihm, es ist nicht zu schaffen. Doch, sagt Yann, doch du kannst. Also kann ich und kann und kann und kann und kann. Wenn der das sagt, wird es schon stimmen, denke ich.

Abschiedsschmerz ist groß und ich verweigere mich der Versuchung, ihn kleinzureden. Ich sage nicht: Das wird schon! Es wird dir da total gefallen! Warte mal, bis wir da sind! Da gibt es auch nette Kinder! Freu dich drauf!
Ich sage noch nicht mal: Sei nicht traurig.
Eltern wollen immer Pflaster kleben. Aber die Pflaster sind schon längst im Umzugskarton verschwunden oder vom Planeten gefallen oder was weiß ich. Stattdessen sage ich: Mir tut das Herz auch weh. Ich habe Angst, genau wie du.
Aber ich sage eben auch: Ich liebe dich. Und ich stehe an deiner Seite bis ans Ende der Welt. Ich weiß nicht, was kommt - aber das weiß ich.