Return to site

Häuser und so

von Edda

"Und? Welches Haus kaufen wir denn jetzt?". Wir haben einen mehrtägigen Besichtigungsmarathon hinter uns und schlauerweise jeden Tag eins der Kinder mitgenommen, um uns im Ernstfall (sprich: Kauf) damit herausreden zu können, die Kinder hätten das Haus ja vorher schon gesehen. Kinder interessieren sich ja bekanntlich nicht für Häuser, haben aber gerne eine Meinung. Zu Allem. Und wissen, dass man im Auto bei genügend lautstarkem Gequengel Ipad schauen darf und Süssigkeiten kriegt. Ich frage mich ernsthaft, wo meine elterlichen Grundsätze hinverschwunden sind. Ipad!! Süssigkeiten!! Wir sollten das Geld fürs Haus lieber in alternativschulische Internatsplätze stecken, dann wäre Schluß mit Peppa Pig & Konsorten und wir müssten auch nicht umziehen, sondern könnten in der Großstadt leben und auf überteuertem Wohnraum unsere teuren Turnschuhe anstarren.
Schauplatz 1: EFH (Einfamilienhaus - Erklärung für Anfänger) in idyllischer, naturnaher Toplage (sprich: am Arsch der Emma) und moderner, attraktiver Ausstattung (meint: Siedlungsbau und eine Trilliarde Häuser, die alle gleich aussehen). Dark Vader ist am Start und 10 Sekunden nach Betreten gleich hin und weg. Grund: Hier lebt ein kleines Mädchen, das tollerweise auch noch daheim ist. Wir Eltern lassen uns vom Makler durch die "einmalige Gelegenheit" führen, währenddessen biegt Dark Vader schon ins Kinderzimmer ab. Mittlerweile wissen wir, dass Master-Bedroom nichts mit SM-Praktiken zu tun hat und die Fotografen der Maklerfirmen allesamt ins Gefängnis gehören. Bei dieser Immobilie hat der Fotograf mehr gefotoshopt als bei einem Albumcover von Mariah Carey. Ich hüstele und klappere ein bißchen mit meinen Autoschlüsseln. Dann hören wir "Boing Boing" und Hasi fährt durch den Wäscheabwurfschacht. Und verschwindet irgendwo in den Tiefen des Hauses. Jetzt hüstelt der Ire auch. "Und jetzt noch der Garten! Das ist dann was für die Kleine." Die Kleine wühlt sich gerade mit der Durchschlagskraft einer Abrissbirne durch den Neubau und wenn wir uns nicht beeilen, müssen wir demnächst die Police unserer Haftpflichtversicherung nach Schäden während Wohnungsbesichtigungen abklopfen. Der Garten - wegen dem wir ja immerhin den ganzen Umzugs-Budenzauber veranstalten - erinnert mich an die Schamhaarrasur eines 90er Jahre Pornostars. Stichwort: Einflugschneise. Ist auch ungefähr genauso groß.
Wir mögen den Dielenboden, fragen nach Holzart und Spezifikationen und machen mental eine Notiz. Profis eben.
Dark Vader will nicht gehen. Sie will gleich einziehen und sagt, dass es schön ist, wenn man Häuser kaufen kann, wo schon Kinder drinwohnen. Dann müsse man nicht soviele selbst mitbringen.
Wir fahren weiter und halten an einer Selbstbedienungsbäckerei. In der Schweiz ist die Welt ja bekanntlich noch in Ordnung und wenn die Bäckereien über Mittag schließen, lassen sie auf dem Land einen Holzkasten draußen, wo man sich frisches Brot und Brötchen selbst nehmen kann. Daneben steht ein Holzkasten, in dem man den Rechnungsbetrag wirft. Auch nach Jahren in diesem Land kann ich mich an solche Sachen nicht gewöhnen.
Wir fahren weiter.
Schauplatz 2: "Abgelegenes Kleinod für Gartenliebhaber". Muss ich das noch übersetzen?! Auf mehreren Fußballfeldern steht ein kleines Haus mit Wintergarten, nebenan gluckert der Rhein. Dark Vader lässt sich missmutig durch das Haus führen, erkundigt sich, ob die Lippenstifte hier wohnen bleiben können und ist dann enttäuscht. Beim Gang in den Keller nimmt sie die Hand der Maklerin. Wir sind mittlerweile olfaktorische Luftfeuchtigkeitsgradmesser. Wir schnüffeln - nichts, riecht trocken. Dann aber geht es raus in den Garten und unser Kind leuchtet auf wie eine Sternschnuppe am Sommerabendhimmel. Sie schnappt Hasi, springt in die Schuhe, hängt sich die Kapuze über den Kopf, hat keine Zeit zum Ärmel anziehen. "Komm Hasi, rennen!!!" und läuft los. Der irische Mann und ich erinnern uns wieder, warum wir diesen Marathon durchlaufen, das Baby durch die Lande karren und in unzähligen Supermärkten Stillpausen einlegen. Dark Vader hüpft durch den Garten wir eine Kreuzung zwischen dem Mad Hatter und Hasi selber. Der übrigens mit flatternden Ohren wie immer an ihrer Seite ist. Dann liegen sie still im Gras, Hasi und das Mädchen, mit der Frühlingssonne im Gesicht, die Augen geschlossen. Still versprechen wir ihr, dass wir so einen Platz für uns finden werden - einen, der sich anfühlt wie der Tag am Meer, den wir alle so dringend nötig haben.
Im Auto sagt sie uns, dass sie hier wohnen will.
Eigentlich will keiner mehr von uns weiter. Das Baby weint und unser Auto sieht aus wie eine Müllkippe. Nur noch eins, dann ist Schluß für heute.
Schauplatz 3: "Einmalige Gelegenheit. Stark renovationsbedürftiges Bauernhaus auf dem Land". Ich bin ja ein großer Wes Anderson-Fan und wenn man mich kennt, dann weiß man, dass ich Lebensentscheidungen gerne auch danach treffe, was denn am ehesten in einen seiner Filme passen würde. Meine Liebe zu renovationsbedüftigen Liegenschaften rührt daher. Ich habe keinerlei handwerkliche Fähigkeiten, dafür aber eine sehr lebendige Fantasie. Und ich sehe mich mit meiner monumentalen Familie in so ein Haus einziehen. Während im Garten die Möhren blühen, oder so. Kurz gesagt: In dieses Haus zieht so schnell mal keiner ein. Es riecht es nach Rauch, ein kleiner Teil ist vermietet, funktionsfähig in der Küche ist der Holzofen. Im Garten steht ein Hühnerstall ohne Hühner, daneben wuchern ein paar mickrige Nadelbäume, in der Traktorengarage nisten die Schwalben. Ich verliebe mich so unmittelbar und endgültig, wie das eben manchmal im Leben passiert. Nur, dass dieses Haus noch nicht mal der Bad Boy der Geschichte ist. Es ist der Komapatient, der seit Jahren auf der Station liegt und keiner weiß, wie das weitergeht. Hier rennt Dark Vader nicht durch den - ebenfalls sehr großen - Garten. Man sieht ihr an, dass sie nicht versteht, was wir hier überhaupt machen, denn: hier kann ja mal keiner wohnen, soviel ist klar. In mir arbeitet es. Dann fahren wir heim und sind alle still.