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Am Ende des Tages

von Edda

Es gibt ja so Tage. Und dann gibt es so Wochen. Und so Monate gibt es bekanntlich auch. Meiner erreicht seinen traurigen Höhepunkt mitten in Ellys Eingewöhnung in der Krippe. Die findet nämlich kreuz und quer durch meine Tage statt, die sich ohnehin nicht über Ereignisarmut beklagen müssen. Die großen Kinder sollten in die Krippe kommen, danach schnell mit mir ins Supermarktrestaurant fahren, damit wir rechtzeitig wieder zum Nachmittagsunterricht da sind. Während der Eingewöhnung sollte das Baby vor allem im Wagen liegen und machen, was Babies so machen: schlafen, süß aus der Wäsche schauen, mit den Füßen spielen. Ellys Eingewöhnung verläuft eigentlich ganz gut, soweit ich das beurteilen kann, während ich so tue, als sei ich nicht anwesend. Während ich in meiner Funktion als durchsichtige Begleitperson in einem nach Spinat riechenden Krippe-Zimmer hocke habe ich zu hause nicht kochen können, keine Betten gemacht, nicht gearbeitet, keinen Sport gemacht und war den ganzen Tag noch nicht auf dem Klo. Was kein Problem ist, denn zum Trinken komme ich auch nicht. Da wabert es elektronisch in meinem Rucksack, der genauso mitgenommen aussieht, wie ich mich ohnehin schon fühle. Es ist die Mutter einer Kindergartenfreundin von Dark Vader. Die sei sehr unglücklich und stünde weinend vor dem Kindergarten. Sie wisse nicht, wo sie heute Mittag hinsoll. Böse Mama, sagt die Stimme der Frau, warum steht dein Kind hier weinend und wo treibst du dich rum? Ich lasse mir Dark Vader geben und sage ruhig, dass sie doch wisse, wo sie hinsoll und wo das ist. Neeeiiiiiiiiiiiiin, röhrt es aus dem Telefon. Ich weiß gaaaaaar niiiiiiiiiichts und bestimmt gehe ich verloren. Durchatmen, sage ich zu ihr. Bleib wo du bist, ich komme. Elly hat sich aber gerade nochmal in einem unbeobachteten Moment einen Kubikmeter Nudeln auf den Teller geladen. Da höre ich lautes Weinen von der Straße und aufgeregte Erwachsenenstimmmen. Dann läutet es an der Krippentür. Draußen stehe ein verstörter Junge und suche seine Mama. Alle Zwerge hören auf zu kauen - außer Elly - und schauen mich an. Dann steht Beanie im Raum. Die letzte Stunde sei ausgefallen und er habe sich nicht getraut, bei der Krippe zu klingeln. Jetzt sei er mindestens seit Stunden draußen auf der Straße und hätte Angst, ich sei weg und er würde mich nie wieder finden. Mein Telefon klingelt, auf der anderen Seite eine aufgeregte Mutter und im Hintergrund Dark Vaders Sirene. Meine Tochter würde so auf mich warten, wo ich denn sei. Aus dem Flur ertönt lautes Geschrei und eine Kita-Fachfrau hat das eigentlich im Flur geparkte Baby auf dem Arm. Sie weine so fest, erklärt die Frau mit fachmännisch mitleidigem Gesichtsausdruck und wolle doch mal schauen, wo die Mama sei. Der Mama zittern die Knie. Mit Kindern ist es allerdings wie mit Haien, man darf keine Angst zeigen. Das riechen die. Ich übernehme mein schreiendes, stinkendes Baby und lege Beanie den Arm um die Schulter. Wir müssen los, sage ich bestimmt. Nee, schmatzt Elly, er habe noch Hunger. Zieh die Schuhe an, sage ich. Eigentlich stehen wir nicht vom Tisch auf, bevor alle fertig sind, sagt die Erzieherin. Herzlichen Glückwunsch, sage ich, wir gehen trotzdem. Elly hat auch noch keine Zähne geputzt, teilt man mir mit und mindestens eine Million anklagender Blicke lasten auf mir. Egal, sage ich und zerre an Ellys Arm. Der stopft sich schnell eine Gabel Nudeln in den Mund und lässt sich mit baumelnder Pasta hinter mir herzerren. Auf meinem Arm plärrt das Baby, Beanie schnüffelt leise. Wir stürzen ins Auto, Elly hat noch die Hausschuhe an, dem Baby ist die Windel ausgelaufen und hat auf meinem Arm einen braunen, stinkigen Fleck hinterlassen, Beanie hat die Hausaufgaben in der Schule vergessen und setzt zu einer Heulboje an. An meinem Auto hängt ein Strafzettel. Ich atme und meine Knie zittern.

Wir rasen zum Kindergarten. Da sitzt Dark Vader zusammen mit der Kindergartenlehrerin. Dark Vader sei schon ganz verzweifelt, teilt sie mir mit. Mein Mund ist trocken und ich frage mich, wer sich jetzt neben mich setzen würde, wenn ich mich heulend auf der Treppe zusammenrolle. Das Baby mal nicht, denn es schreit so laut, dass es sich immer wieder verschluckt. Im Auto riecht es wie in einem Windeleimer. Zum Supermarktrestaurant schaffen wir es nicht mehr, sonst ist Beanie zu spät, also brettern wir heim. Ich krame aus dem Schrank, was ich so finde - und das ist nicht sehr viel. Beanie mümmelt freudlos eine Reiswaffel. Bei Tim gebe es heute Schnitzel mit Kartoffelgratin. Ich beglückwünsche Tims Mama zun ihren organisatorischen Fähigkeiten und sage, dass ich noch Gurke schneiden könne, stelle aber fest, dass die leider verschimmelt ist. Beanie schubst Dark Vader, die heute irgendwie neben sich steht und sofort wieder anfängt zu weinen. Ich könne fiese Kinder nicht leiden, sage ich zum Großen. Warum hast du uns dann überhaupt bekommen, entgegnet der. Und da ist es vorbei. An diesem Klumpen in meinem Hals kann ich nicht vorbeischlucken. Ich kriege keine Luft mehr und hinter meinen Lidern prickelt es. Herzlichen Glückwunsch, alle Mannschaft haben heute den letzten Platz erreicht. Arme Mama, sagt Dark Vader.

Wieso sagt einem eigentlich keiner, dass man mit Kindern zwar nie allein ist, dafür aber oft sehr einsam. Mein Alltag mag zwar ihre Kindheit sein - aber ihre Kindheit ist eben trotz allem zeitgleich auch mein Leben. Und das kann wehtun. Dass glückliche Eltern auch glückliche Kinder haben, ist eine ziemlich miese Lüge, weil sie suggeriert, dass es hier eine Korrelation gibt. Von meinem Glück profitieren meine Kinder aber genausowenig, wie ihr Glück meine Tage erfüllt.

Ich nehme das vollgekackte Baby auf den Arm und streichle die weiche Stelle zwischen Nasenmitte und Oberlippe. Das Baby gluckst und lacht und wirft die Speckarme in die Luft. Dark Vader umarmt meine Beine und hinterlässt dabei einen dicken, schwarzen Filzstiftstreifen, weil sie vorher die Kappe nicht mehr zugekriegt hat. Öhrchen, sagt Elly, stellt sich auf einen Stuhl und zieht sanft an meinem Ohrläppchen. Beanie murmelt Mooooomoooooo und reibt seinen großen haarigen Kopf an meinem Rücken.
Wir stehen ganz ruhig da und fühlen, dass wir vielleicht alle oft allein sind mit unseren Gefühlen, dem Leben und der großen Welt da draußen. Aber in dem Moment sind wir nicht einsam.