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Von unteilbaren Angelegenheiten

Von Irina

Es heißt, geteiltes Leid sei halbes Leid. Aber das stimmt nicht. Zumindest nicht bei Krankheit. Da steckt man nämlich im eigenen Körper fest und leidet allein. Alle anderen schauen zu und sind damit in einer zu 100 Prozent besseren Situation. Ich bin nicht in der ersten Reihe der Pflege, auch nicht in der zweiten. Ich bin das Backup vom Backup, zumindest noch. Deshalb kann ich hier auch vom Zusehen reden. Zwar mache ich schon, was bei der Zuhausepflege anfällt, aber nur aushilfsweise. Ein Tropfen auf dem heißen Stein also. Nur bei Aufenthalten in Krankenhäusern und Pflegeheimen bin ich fast täglich da, sitze am Bett, gebe Essen, Getränke, quatsche und lese vor.

Manchmal ist es schön, wenn wir lachen oder uns was erzählen können. Dann habe ich das Gefühl, was beitragen zu können. Aber genauso viel stehe ich daneben, sehe zu, wie sich am Essen oder am Getränk verschluckt wird und frage mich, ob ich was tun kann. Kann ich natürlich nicht, also hole ich ein Tuch und wische alles auf.

Pflege geht oft mit Krankheiten einher, die nicht besser werden. Da geht’s dann nicht mehr um Therapiemöglichkeiten, sondern eher um die Frage, welche Körperfunktion als Nächstes ausfällt und was zum Teufel man dann tun kann. Wobei die Antwort auf der Hand liegt: nichts. Ich lerne jede Menge Maßnahmen und Hilfsmittel kennen, die manchmal sehr kreativ sind. Man kann mit Hilfe eines Müllbeutels im Bett die Haare abgeduscht bekommen. Wusste ich vorher nicht. Tatsächlich kann man verdammt viel im Bett erledigen, was man sonst woanders tut.

Wenn nichts mehr besser wird und man nur gemeinsam warten kann, sind es oft Kleinigkeiten, die einen Unterschied machen. Zum Beispiel gibt es ein Krankenhaus, in dem es am Eingang immer nach Waffeln riecht. Die werden in der Cafeteria frisch gebacken. Die Bäder in Privatzimmern riechen eher nach Hotel als nach Urin, ganz anders als normale Patientenzimmer. Finde ich beachtlich. Geht aber vielleicht nur mir so und nicht dem, der sein Leben im Bett verbringt, denn der hat andere Prioritäten.

Erstaunlich ist auch, wie sehr wir glauben, alles im Griff zu haben. Erst wenn es um Kinder und Gesundheit geht, merken wir, dass das nicht stimmt. Da ticken die Uhren anders und du kommst mit allem Geld der Welt nicht weiter. Den ganzen Morgen über war ich wütend, dann habe ich gemerkt, dass es was anderes ist. Seit Tagen schleiche ich um das Gefühl herum, das zwar immer mitläuft, aber gerade so unter dem Radar. Ich mag nicht, dass es Überhand nimmt, weil es doch nichts bringt. Mit all der Traurigkeit tröpfelt nämlich Energie aus mir raus. Auf Jahre hinweg macht das eine ganze Menge aus. Dann straffe ich mich und sage mir, dass es schon lange nicht mehr darum geht, etwas besser zu machen, sondern darum, dass ich da bin und nicht weggehe. Weil das nämlich das Einzige ist, was ich überhaupt tun kann. Auch wenn es verdammt nochmal viel zu wenig ist.