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Vom Schönen und Wahren

von Edda

Kinder zu erziehen ist ja eine wahre Freude. Also, echt, ganz ehrlich! Und Klamotten für Kinder zu kaufen ist ein Quell steter Freude und hinterlässt mich jedesmal dermaßen urlaubsreif, dass ich mich frage, wieso die Einkaufszentren zwar Kinderbetreuung anbieten, aber keinen psychologischen Notfalldienst für Eltern, denen schon die Adern unter dem Augenlid pulsieren.

Denn es ist ja nicht nur so, dass diese körperkleinen Geistesriesen eine eigene Meinung haben, bei Klamotten erzieht die Gesellschaft ja auch ein ziemliches Stück mit. Ach was, Gesellschaft: peer group, Familie, Modeindustrie und dann kommt noch der eigene Geschmack. Es ist ein bißchen, als müsste man barfuß über die städtische Hunde-Wiese tanzen, während man gleichzeitig mit Wasserbomben beschossen wird. Und währenddessen spielt ein Best of aller Sommerhits ever. In Dauerschleife.

Elly in jedem Fall will Einhornklamotten. Braucht er zwar nicht zwingend, aber Trends braucht man ja nie und hat sie dann trotzdem im Schrank hängen. Und weil wir gerade in einem dieser Einkaufszentren mit Kinderbetreuung aber ohne psychologischen Notfalldienst sind und ich Rückgrat wie auch sauschlechtes Gewissen den burmesischen Kinderarbeitern gegenüber im Auto gelassen habe, gehen wir in einen Laden der skandinavischen Billig-Textilisten. Da wird Elly auch sofort fündig, was nicht verwunderlich ist, denn es einhornt gewaltig. Da!!!! Einhorn!!!!, schreit das Kind. Da!!!! Einhorn!!! ist ein regenbogenfarbenes Tüllkleid mit einer Herde grasender Fabelwesen am Saum. Elly ist heute hilfsbereit gestimmt und hat sich auch gleich mal bis auf die Unterhose ausgezogen und möchte anprobieren. Ich versuche ihn wohlmoduliert mit beruhigender Tonlage darauf vorzubereiten, dass dieses eher nicht .. also das wäre eher für .. und er ist doch ... also ... Da eskaliert die Situation auch schon, was nicht verwunderlich ist, wenn die verdammten Sommerhits aller Zeiten in Dauerschleife laufen. Ich wedel dich weg, brüllt mein Sohn und fuchtelt mit dem Kleiderbügel. Dann zieh es halt an, gebe ich nach und klopfe mir innerlich für meine liberale Haltung auf die Schulter. Ich stehe ja total über dieser ganzen identitären Mode-Polizei, also wirklich! Elly ist im Tüllhimmel. Er dreht sich begeistert vor dem Spiegel und findet sich schön. Ich liebe den Modegeschmack meines Sohnes zwar etwas weniger als seine renitente Persönlichkeit, muss aber zugeben, dass er nicht weniger breit grinst als die Einhörner auf dem Kleid. Wir kürzen das jetzt an dieser Stelle ab:
Ich hätte das Kleid gekauft, wenn Elly nicht auf dem Weg zur Kasse was Besseres gefunden hätte. Was es Besseres gibt als Regenbogentüll gibt, wollt ihr wissen? Pailetten, natürlich.

Beanie ist bereits Experte auf dem Gebiet der ästhetischen Diskriminierung von Jungs und Mädchen und zugleich der Wegbereiter des eigenwilligen Stils. Beanie liebt bisher lebenslang Glitzer und Aufnäher und Applikationen. Was allerdings für das legendäre Gespräch zwischen seinem Opa/meinem Papa und mir geführt hat, wo dieser erwähnte, er habe ja oft gedacht, Beanie könnte homosexuell sein. Ach so, nee, ist klar! Nun ist mein Vater familienintern für seinen sehr experimentellen Klamotten-Umgang mit Farben bekannt und gehört zu den einzigen beiden Männern auf diesem Planeten, die lila Cordhosen besitzen. Der andere Mann ist Elton John. Offensichtlich schützt Liberalität nicht vor Idiotie in größerem Ausmaß und eigene Ästhetik nicht davor, Kinder in Rastern funktionieren sehen zu wollen.
Beanie hat Lücken für sich gefunden und schluckt mal mehr mal weniger schwer, wenn jemand Dark Vader nach ihrer großen Schwester fragt.

 

Dark Vader hat es da ausnahmsweise leichter. Sie hat aus dem irischen Familienurlaub ein "Party dress" mitgebracht zusammen mit passenden Schuhen. Beim ersten Auftritt hatte sie sich eine Strähne aus der Frisur gezupft und dekorativ vor die Augen gehängt. Und uns so intensiv angeschaut, dass Elly gefragt hat, ob sie mal aufs Klo müsse.
Jetzt fanden wir zugegebenermaßen ihr Party dress eher blöd, was aber auch damit zu tun hatte, dass Dark Vader tatsächlich aufs Klo musste und die Schleppe dann in der Brille hing.

 

Ich kann mir noch soviele T-Shirts mit Traktoren drauf anziehen - davon kann ich noch lange keinen fahren. Und Elly ist ein Junge und dass er gerne Tüllkleider anzieht, sagt aus, dass er Tüll mag. Oder Kleider. Oder beides. Und das ist in Ordnung. Er ist in Dunkelblau genauso ein Junge wie in Regenbogenfarben. Wir müssen mit diesen ganzen Unterschwelligkeiten aufhören und brauchen nicht über #MeToo, Frauenquoten oder Männermißhandlung zu sprechen, wenn wir schon bei der Kleiderwahl unserer Kinder schlucken.

 

PS: Hallo, Papa! Ich liebe Dich und finde, dass Du in Deinen Cordhosen toll aussiehst. Ich weiß aber trotzdem, dass mich die Mama zur Welt gebracht hat. Denn Du bist ja ein Mann. Just sayin'.