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Ein Tretboot in Seenot

von Edda

Er hat ein knallrotes Gummiboot, mit diesem Gummiboot fahrn wir hinaaaaus ... tralalalala ... und es ist wieder Sommer. Frühsommer, um genau zu sein. Was bedeutet, dass wir den Spaß noch vor uns haben. Sommer mag ja irgendwie jeder und denkt an Sonne und Eis und laue Sommerabende und diese ganzen schlimmen Sommerhits, die echt scheiße sind, trotzdem aber jedem Hummeln in den Hintern blasen. Aber genauso wie nicht ganz Gallien von den Römern besetzt ist und sich ein unbeugsames Dorf .. usw. gibt es nicht nur Sommerliebhaber. "Summer-lover", könnte ja glatt der Hit 2018 werden! Und dann ist auch noch Fußball-WM, was den Sommer ja noch schöner werden lässt. Sommer! Draußen! Spaß!

Was ich mit dieser Ansammlung an Ausrufezeichen eigentlich sagen will: Ich bin das kleine gallische Dorf. Der Sommer-Grinch. Meine Laune geht gegen Ende April merklich zurück und sobald der erste warme Tag im Mai kommt, die Leute ihre Sonnenbrillen rausholen und die Zeitung titeln, dass jetzt der Sommer endlich da sei, gehe ich zum Lachen in den Keller. Und nicht nur dafür. Ich kann bei Hitze nämlich nicht schlafen. Und Hitze startet für mich bei 25 Grad. Ich esse auch keine Bratwurst, kann Moskito-umsummt nachts keine Ruhe finden und vertrage die meisten Sonnencremes nicht. Aber das Schlimmste, wirklich das Allerschlimmste für mich sind: Freibäder. Und weil ich ja in der Schweiz wohne auch: Seebäder.

Und das ist nicht erst so, seit ich groß bin und kleinere Menschen mit eisverklebten Mündern davon abhalten muss, Wespen zu verschlucken. Oder davon abhalten muss, mit der Wasserpistole genau das eine Kind nicht zu treffen, das Wasser partout nicht aushalten kann. Oder jeden zweiten Tag die rosa Schippe mit dem super Schaufelblatt aus den verkrampften Händen übereifriger Fremdspieler zu winden. Oder Brausetoiletten mit Klobürstenlutscher für Zwei Fuffzig abzuwehren.

Ich war schon als Kind zum großen Kummer meiner Mutter ein schlimmer Freibadmuffel. Es war meiner Mama ein großes Rätsel, wieso sie sich mit Scharen von Eltern im örtlichen Freibad traf und eine Schar begeisterter Kinder alle drei Stunden blaugelippt aus dem Wasser gezerrt werden mussten. Während ihr Kind mürrisch mit Buch unter einem Busch saß und darauf gewartet hat, dass es wieder heimkonnte. Oder sich am Kiosk was kaufen durfte. Brausetoiletten mit Klobürstenlutscher für Zwei Fuffzig wahrscheinlich. Karma is a bitch, kein Zweifel.

So sehr ich nämlich Freibäder gehasst habe, das Kiosk habe ich genauso heiß und innig geliebt und kann bis heute grundsätzlich an keinem Wasserhäuschen vorbeigehen, ohne nicht mindestens drei saure Gurken (gelb und rot, grün mag ich nicht), zwei Lakritzschnecken und vier saure Colaflaschen zu kaufen. Egal, Freibäder-Kiosks waren der Hit. Es gab fettige Pommes in spitzen Papiertüten und man konnte gemischten Tüten zusammenträumen. Und die dann mit unter den Busch nehmen, das Buch weiterlesen und hoffen, dass, wenn die Tüte leer ist, man wieder heim darf. Und der Spaß endlich überstanden ist.

Nun ist das perfide an den Schweizer Seebädern, dass es zwar Gastro-Einheiten gibt ... aber die sind eben auch den hiesigen Lebenswelten angepasst. Sprich: keine Pommes. Dafür Quiches und Rüblikuchen und Obst in Schälchen. Hallo? O b s t ??? Das verletzt ja schon irgendwie meine Mama-Domäne der ewigen Spaßverderberin und Gesundheitspredigerin. Ich muss das geschnippelte Elend anschleppen dürfen und der Nachwuchs soll am Kiosk anstehen und gefälligst Calippo Cola kaufen. Gibt's hier übrigens auch nicht. Hat wahrscheinlich zuviel Zucker.

Aber es wäre zu simpel, würde ich nur wegen dem Kioskkram Bauchweh kriegen, wenn es um die Badi (so heißen die Seebäder hier) geht.
Die Badis sind nämlich hier die sommerliche soziale Schaltzentrale der Gemeinden. Da wird gezeigt und gesehen und geredet und geschaut. Natürlich alles ganz dezent - was aber vor allem dazu führt, dass immer dieselben Leute ihre Handtücher beieinander ausbreiten. Geschnippeltes Obst unter den Kindern verteilen, der Anderen das Baby auf den Arm geben und selbst schnell schwimmen gehen, über Lehrer, Schule, das Leben und den Dorfklatsch sprechen. Wer nicht dabei ist, den gibt's schon irgendwie trotzdem - der kriegt aber nichts mit.

Und dann gibt es mich: Die Mama mit den vielen neon-weißen Kindern. Neben uns breitet niemand sein Handtuch aus und obwohl uns viele Leute freundlich winken, bleibt fast niemand stehen. Hier gibt es keinen Busch und ich kann mich nicht verstecken. Ich kann auch keinen Badeanzug tragen, möchte lieber jeden Quadratzentimeter angreifbare Haut verstecken. Ich bin zwischen diesen ganzen schwitzenden, halbnackten, spaß-habenden Menschen einfach genauso einsam, wie ich es als Kind schon unter den blaugelippten Kindern war, die man unter Gewalt aus dem Wasser holen musste. Und es stellt auch meine Kompetenz als Mutter in Frage - finde ich - denn es gelingt mit einfach nicht, in dieses Paralleluniversum Freibad hineinzufinden. Selbst für meine Kinder nicht und da muss man sich ja durchaus in einige Welten hineinfinden, deren Komplexität geradezu Tolkiensche Ausmaße haben. Ich denke da beispielsweise an Kindergeburtstage, an Gastkinder und an Elternabende.

Es ist erst Ende Mai. Ich habe realistischerweise noch drei Monate Badi vor mir. Wenn es super läuft und der Sommer so richtig Mist ist, dann nur zweieinhalb. Das sind dreizehn Wochen, ungeschönt. Bei einem Durchschnitt von drei Besuchen pro Woche, komme ich auf zu erwartende 39 Besuche in dieser Saison. Davon habe ich ganze zwei schon absolviert. Und die restlichen 37 liegen vor mir wie ein Berg. Und die sind bekanntlich hier ziemlich hoch.

Wenn also jemandem eine Großfamilie mit langhaarigen Kindern unterkommt, bei denen die Mama halb im Busch steckt, dann sprecht mich nicht an. Oder doch: Sprecht mich an. Vielleicht habt ihr eine Lakritzschnecke dabei oder eine saure Gurke (nicht grün, bitte) oder zufällig ein paar Pommes in der Tasche. Oder setzt Euch einfach mal ein paar Minuten zu mir. Das wäre schön.