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Du hast da einen Penis.

von Edda

Beanie will nicht mehr zum Schwimmen gehen. Ich bin zugegebenermaßen entrüstet, denn die Renovierung des alten Gemeindehallenbads hat ewig gedauert und sehr viele Steuergelder verschlungen .. unter anderem auch meine. Also will ich, dass sich das Kind gefälligst freut und fröhlich im Hallenbad-auf-dem-Land-am-Arsch-der-Welt "Die Rakete" übt. Zumal Schulschwimmen ja nun ein Highlight der Schulwoche sein sollte, oder??

War es ja eigentlich schon in meiner Schulzeit nicht, wenn man ehrlich ist. Aber ich bin ohnhin nie gerne zur Schule gegangen und die Vergangenheit ist .. genau: vergangen. Heute ist alles besser, die Lehrer sind echte Pädagogen und beim Schulschwimmen kriegt man auch was anderes mit als Fußpilz.
Das Kind setzt nicht zur Erklärung an und beweist wiedermal, wie weit die Fernsehkrimis von der Lebensrealität entfernt sind. Da schweigen Kommissare einfach mitten im Verhör, weil dann bekanntlich die Verdächtigen ganz freiwillig die Hosen runterlassen. Beanie lässt nicht die Hosen runter und das hat einen guten Grund:

"Dann zeigt in der Umkleide immer einer auf mich und sagt "Ooooohh, guck mal: ein Peeeeeenis!".

Penisse sind an Jungen anzutreffen, dafür brauche ich nicht Yoda zu sein. Ich versuche es erstmal so locker-flockig, wie Eltern nunmal sind, wenn sie gerade Auto fahren und wittern, dass man hier gefragt ist.
"Ich nehme an, die anderen Jungen haben auch einen Penis?" Jetzt ist Dark Vader auch aufmerksam geworden, sie habe keinen Penis, erläutert sie ungefragt, denn da könne man keine Kinder mit bekommen. Ich lasse mich auf die Feinheiten der Humanbiologie nicht ein und bleibe auf den Ältesten fokussiert.
Der erklärt mir, dass die anderen Jungen immer mit den Bäuchen so "an der Duschwand entlanglaufen". Er würde das nicht machen, denn das würde lange dauern und dann käme er nicht rechtzeitig auf den Pausenhof, sein Sitzplatz am Tisch links neben dem Busch sei weg und Mandeln mit Schale könne man im Gehen nicht essen, denn dann bekäme man Bauchweh. Aber die anderen Jungs würden eben auf seinen Penis zeigen. Und Schwimmen sei blöd.


In solchen Situationen muss ich mich als Mutter zusammenreissen, um meine eigene Abneigung dem System Schule gegenüber nicht überhand werden zu lassen und meinem Kind mitzuteilen, dass das alle Arschkrampen seien. Und er da nie wieder hinmuss. Sollen die doch mit ihren nackten Hintern an den Kacheln entlangrobben, bis der Putz abbröckelt. Mein Kind macht da nicht mit!
Aber so simpel ist es nicht. Schule ist nicht einfach und spätestens wenn man ein Kind einschult, fällt auch die allerletzte Illusion. Kinder sind fies, das weiß man. Systeme sind nicht dazu gemacht, um Unterschiede zu fördern, sondern müssen im Groben und Ganzen laufen. Im Kleinen und Halben sorgt das für soziale und emotionale Auslese und dazu, dass sich die Kinder gegenseitig zur Räson bringen. Hackordnung nennt man das. Oder: Penis-Pyramide. Bei dem, der zuerst auf den Penis des anderen Kindes zeigt, wird am wenigsten hingeschaut.


Meine normale Reaktion ist immer, dass ich davon träume, mein Kind zuhause zu unterrichten. Aber das ist keine realitätsnahe Vorstellung und sicherlich auch keine Lösung. Trotzdem kann ich das zugrundeliegende Gefühl verstehen. Mich macht es wütend, wenn einem Leute sagen, dass "alle zur Schule mussten" und es ja "keinem geschadet hätte". Nee, klar, ich kenne mehr Leute mit Schultraumata als ich zählen kann.
Ich fühle mich hilflos, denn ich werde als Elternteil irgendwie dazu gezwungen, mein Kind in diese ganzen Systeme reinzupressen. Und wenn es vorne klemmt, muss ich halt hinten mit etwas mehr Druck arbeiten. Das weckt Fleischwolf-Asoziationen in mir und lässt mich nachts wachliegen. Aber was sind meine Alternativen? Abmelden und home-schooling? Alternative Schulformen? Abmelden, aufs Segelboot und rund um die Welt im Urvertrauen, das Kind werde schon aufschnappen, was es braucht. Ich weiß es nicht.

"Du und Dein Penis, ihr zwei seid schwer in Ordnung" lasse ich meinen Sohn wissen. Das muss für den Moment reichen.